Zerbrechen - Kitten - ganz werden

Von Pfarrerin Ute Lohmann
Schulpfarrerin an der BBS Wirtschaft Koblenz

Das Schuljahr hat wieder begonnen und wenn ich mich so im Kollegium und bei den Schüler:innen und Auszubildenden umschaue, merke ich, dass es nicht ist wie so immer nach den Sommerferien. Denn so Vieles ist zerbrochen in den letzten Jahren. Krieg in Europa: ein Land überfällt ein anderes. Das war doch eben noch undenkbar! Menschen fliehen, sterben, jeden Tag. – Corona hat uns auch nach mehr als zwei Jahren noch im Griff. Die Hoffnung, dass es wieder „normal“ wird – zerbrochen. Manche Lebensträume sind in dieser Zeit zerbrochen, genauso wie Beziehungen und Ideen. Und Corona wird uns weiter den Atem nehmen. Zerbrochen ist auch die Zuversicht, dass wir eine gute Zukunft haben: Angst vor dem Herbst; wie schlimm wird die „Herbstwelle“? Und kriege ich die Bude warm? Wer kann sich das leisten?  Wie geht es den Familien in der Nachbarschaft, unseren Schülerinnen und Schülern, oder denen, die sowieso schon immer auf der Schattenseite stehen? Ja, die Welt scheint ein Scherbenhaufen zu sein.

Was kann und werde ich tun, mit diesem Scherbenhaufen? Wegsehen, ignorieren? Nein, ich muss es aushalten, dass es diesen Scherbenhaufen gibt. Ich kann ihn nicht einfach beseitigen oder vor Allem dauerhaft die Augen verschließen. Ich muss lernen, mit diesen Scherben zu leben. Ich kann etwas mit den Scherben machen. Kinder sprechen davon, dass etwas „ganz gemacht“ wird, wenn es zerbrochen ist. – Es gibt eine japanische Technik mit dem Namen „kintsugi“. Bei dieser Technik werden die Scherben eines zerbrochenen Gefäßes wieder zusammengefügt. In den Leim, der die Teile zusammenhält, wird dabei Gold- oder Silberstaub gemischt. So entsteht ein zusammengefügtes Gefäß, dessen Narben und Brüche nicht versteckt werden, sondern die das neu entstandene Gefäß einzigartig machen. Das neue Gefäß ist nicht einfach die Wiederherstellung des Alten. Es entsteht etwas Neues, Einzigartiges. Ein neues Gefäß aus dem alten, dessen Brüche nicht versteckt werden, sondern die das Wesen des neuen Gefäßes ausmachen. Der Propheten Amos (9,11-12) nimmt diesen Gedanken auf: „11 Zur selben Zeit will ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Risse vermauern und, was abgebrochen ist, wieder aufrichten und will sie bauen, wie sie vorzeiten gewesen ist, 12 damit sie in Besitz nehmen, was übrig ist von Edom, und alle Heiden, über die mein Name genannt ist, spricht der HERR, der solches tut.“ Gott hat uns nicht verlassen, er wird uns unterstützen aufzubauen, was in Stücke gebrochen ist. Darauf können hoffen: aushalten, aufsammeln und neu zusammenkleben, damit etwas Neues entstehen kann.

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