Mein Freund der Baum

Von Rolf Stahl, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Koblenz

Von Rolf Stahl
Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Koblenz

Es war in den Sommerferien vor einundfünfzig Jahren. Ich wartete ungeduldig auf meinen siebten Geburtstag. Plötzlich gab es nur noch erschreckte Gesichter um mich herum. Alexandra war auf dem Weg in den Urlaub mit ihrem Auto tödlich verunglückt. Mit ihren Liedern hatte sie sich in die Ohren vieler hineingesungen. Auch in meine. Sie war ein Star der damaligen deutschsprachigen Musikszene. Ein Lied von ihr hat es mir besonders angetan. „Mein Freund der Baum“. Ein Baum wird gefällt. Er war ein Zufluchtsort. Viele Erinnerungen hingen an ihm. Er musste anderem Platz machen. Ich bilde mir ein, dass ich durch dieses Lied selber dazu kam, mit manchen Bäumen Freundschaft zu schließen. Einem davon bin ich ganz in der Nähe zufällig begegnet. Er steht in einem der Lützeler Gärten am Schartwiesenweg. Eine schwarze Maulbeere. Ihre Zweige spannen sich wie ein Zelt über eine Wiese. Sie spenden Schatten. Sie bieten Schutz vor Regen. Sie hängen voll süßer Früchte. Maulbeerbäume sind in unserer Gegend eher selten. In der biblischen Geschichte von Zachäus spielt ein Maulbeerbaum eine entscheidende Rolle. Der Zöllner kletterte auf ihn, um Jesus aus sicherem Abstand mit eigenen Augen zu sehen. Der bemerkte ihn, rief ihn herunter und besuchte ihn in seinem Haus. Das Leben des Zachäus veränderte sich unerwartet zum bis dahin unvorstellbar Guten. Das ist eine schöne Geschichte von Freundschaft, die Leben verändern kann. Ich wohne in Neuendorf. Es ist kein langer Weg, um schnell mal beim Maulbeerbaum in Lützel vorbeizuschauen. Oft denke ich dabei an Alexandras Lied und auch an Zachäus.

Zurück