Mehr als eine Redewendung

Von Pfarrerin Dr. Anja Angela Diesel

Von Pfarrerin Dr. Anja Angela Diesel
Schulreferentin des Evangelischen Kirchenkreises Koblenz

„Davon kann ich ein Lied singen“, sagen wir manchmal. Meist geht es dann um leidige Erfahrungen, die wir zur Genüge gemacht haben: Zugverspätungen oder Staus im täglichen Berufsverkehr, Nachbarn, die einem das Leben schwer machen, Versuche, Kinder dazu zu bewegen, ihre Hausaufgaben zu machen, Belastungen mit betreuungsbedürftigen alten Menschen in der Familie – davon können viele ein Lied singen und von vielen anderen Erfahrungen, die Liste wäre schnell erweitert.

„Davon kann ich ein Lied singen“ - dabei ist, meiner Erfahrung nach, die Fähigkeit und die Gewohnheit des Singens außerhalb von Chören rückläufig. Schade wäre, wenn das Singen im Alltag vor allem in einer Redewendung Platz hätte, die es mit leidigen Erfahrungen verknüpft. Das Singen ist die vielleicht älteste musikalische Ausdrucksform von Menschen. Warum Menschen angefangen haben zu singen, ist umstritten. Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat es aber in ganz unterschiedlichen Situationen Platz gefunden. Es entstanden Liebes- und Kriegslieder, Trauergesänge und Arbeitslieder, Lieder zu Ehren von Herrschern und zu Ehren Gottes. Menschen singen für sich allein – nicht nur unter der sprichwörtlichen Dusche – oder mit anderen zusammen. Kinder singen gerne, sie brauchen dazu Anregungen und Menschen, die mitsingen.

Im kirchlichen Kalender feiern wir den Sonntag Kantate „Singt“ (15. Mai). Der Psalm 98 fordert auf: „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ Wie sieht das bei uns aus? Können wir auch von Wundern ein Lied singen? Von Erfahrungen, die für uns wunderbar sind? Dann müsste unser „Davon kann ich ein Lied singen“ nicht notwendig mit einem Seufzer einhergehen, sondern vielleicht mit einem Lachen. Wunder brauchen unsere Aufmerksamkeit, sonst geschehen sie ungesehen und unbeachtet. Fähigkeit und Gewohnheit zu Singen kommen beim Singen. „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“

Zurück