Gemeinsam leben und trauern
Von Pfarrer i. R. Sven Dreiser
Mit Sorge betrachte ich seit Corona die veränderte Bestattungs-Kultur in unseren Familien und Gemeinden. Immer mehr Beisetzungen finden nur noch im engsten Familienkreis statt – ganz privat, ohne Termin in den Anzeigen und Benachrichtigungen. Kein Gottesdienst zur Verabschiedung, kein Sterbegebet, keine öffentliche Anteilnahme. Oftmals auch ohne Pfarrer oder Trauerrednerin. Ein kurzer Moment der Stille, bevor der Bestatter die Urne in das Grab lässt. Eine letzte Träne und stumme Umarmung. Kein Raum für Trost oder eine öffentliche Würdigung des/der Verstorbenen.
Früher einmal waren Rituale hilfreich für das Abschiednehmen. Das gemeinsame Gebet, der dankbare Blick auf den/die Verstorbene(n) in der Ansprache, die alten Trost- und Glaubenslieder. Die Verkündigung der Auferstehungshoffnung. Alles Rituale des Übergangs von diesem Leben in ein neues, ewiges Leben. Ein himmlisches Leben bei Gott. Ohne Krankheit, Schmerzen, Einsamkeit und Tod. Der Segen und das Kreuzzeichen. Das gemeinsame Mahl im Gottesdienst und nach der Beisetzung. Trauer durfte öffentlich gelebt werden. Keiner brauchte sich dafür zu schämen.
Jeder, der stirbt, hat nicht nur in seinen privaten Familienbeziehungen gelebt. Da gibt es Freunde und Freundinnen, Nachbarn und Kolleginnen und Kollegen. Menschen, mit denen wir manchmal sogar mehr Zeit verbringen als mit unseren Angehörigen. Auch diese Menschen haben ein Recht, sich öffentlich zu verabschieden und ihrer Trauer einen sichtbaren Ort zu geben.
Gemeinsam gelebte Trauer trägt mehr als der stille, einsame Moment. An jedem Grab sollte erfahrbar werden, dass niemand allein ist im Leben und im Sterben. Wenn ich dann um mich schaue, möchte ich nicht nur in die Dunkelheit des Grabes blicken, sondern auch in die Gesichter von anderen Menschen, die mit mir weinen, die mich aber auch anlächeln und mir zu verstehen geben, dass sie mich zurück ins Leben begleiten werden.
Abschiednehmen und Trauer müssen wieder öffentlich werden. Das sind wir unseren Verstorbenen, aber auch uns Lebenden schuldig.