Frühdienst

Von Pfarrerin Carmen Tomaszewski
Leiterin der Ökumenischen TelefonSeelsorge Mittelrhein und Pfarrerin in der JVA Koblenz

Kurz nach sechs, Dienstagmorgen. Die Straßen sind leer. Viele Leute sind sicher noch in den Osterferien. Es ist kalt, aufstehen heute mühsam, müde steigt er die Treppen hoch. „Wieso hab ich ausgerechnet den Frühdienst zugesagt?“ fragt er sich noch. Die Tür öffnet sich, die Kollegin ist froh, dass sie abgelöst wird. Es war eine Nacht mit vielen Gesprächen. Sie unterhalten sich kurz, dann bleibt er allein. Der Raum, der Stuhl, das Telefon. Mehr braucht es nicht in den nächsten paar Stunden. Es dauert nicht lang bis zum ersten Klingeln. Ein trauriger Mensch, der jemand zum Reden braucht. Er ist da. Er hat Zeit. Er hört zu, fragt nach, spürt die Not des anderen. Zwischendurch lachen sie gemeinsam. Dann werden sie wieder ernst. Am Ende des Gesprächs eine Verabschiedung. „Kommen Sie gut durch den Tag!“ und die Antwort „Danke, dass sie zugehört haben.“ Er schnauft durch, hofft, dass der Anrufende es wirklich schafft, seinen Tag so zu gestalten, dass er gute Momente erlebt… Ein Bissen ins Brötchen, ein Schluck Kaffee. Dann klingelt es wieder. Ein neues Gespräch. Ganz anders. Dann jemand, der sich nicht traut, schnell wieder auflegt. Die Zeit vergeht, wie im Flug und in Zeitlupe gleichzeitig. Gespräche, Gefühle, Gedanken. Ganz unterschiedliche Menschen begegnen ihm, obwohl er keinen von ihnen wieder erkennen würde. Sie bleiben einander fremd. „Vielleicht ist darin ein Stück des Geheimnisses,“ denkt er. „Man vertraut sich einem Fremden an. Weil er mir nicht auf der Straße begegnet. Weil der nichts gegen den Anrufenden verwenden will.“ Irgendwann klingelt es an der Tür. O, tatsächlich schon die Ablösung? Sie reden kurz, dann geht er. Und er spürt, das hat sich gelohnt. Innerlich muss er schmunzeln. “Ich hatte Sorgen und ihr habt mir zugehört“ steht nicht in der Bibel. Aber es stimmt trotzdem!

Nähere Infos: www.telefonseelsorge-mittelrhein.de

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