Erinnerung als Schutzschild
Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
Von Prädikant Dr. Andreas Metzing, Koblenz
Heute vor 87 Jahren brannten die Synagogen. Am 9. November 1938 wurden mehr als 1400 Gotteshäuser zerstört, jüdische Geschäfte geplündert, Menschen gedemütigt, verschleppt, vergewaltigt und ermordet. Die Pogromnacht markierte den Übergang zur systematischen Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland. Sie stand am Beginn des unvergleichlichen Zivilisationsbruchs, der zum systematischen industriellen Massenmord an den europäischen Juden führte.
An vielen Orten gibt es heute Abend Gedenkveranstaltungen. Politiker, Vertreter von Kirchen, Glaubensgemeinschaften, Verbänden und Gewerkschaften, aber auch viele einzelne Bürgerinnen und Bürger erinnern an die Opfer dieser schrecklichen Ereignisse. Das ist heute wichtiger denn je. Denn in Zeiten, in denen Synagogen Polizeischutz brauchen, ist es unsere Pflicht, Flagge zu zeigen, um die Würde jedes einzelnen Menschen zu schützen und dem Gift des Antisemitismus in all seinen Formen zu widerstehen.
1938 wurden die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens zerschlagen, wie sie im jüdisch-christlichen Menschenbild wurzeln: Jeder Mensch ist als Ebenbild Gottes geschaffen, der uns Weisungen für unser Zusammenleben gegeben hat – Du sollst nicht töten – Du sollst nicht stehlen – Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Zugleich sind sie auch das ethische Wertefundament, das unserer heutigen freiheitlichen Gesellschaftsordnung zugrunde liegt. Wenn wir deshalb am 9. November daran erinnern, dass diese Gebote damals mit Füßen getreten wurden, setzen wir ein Zeichen für Toleranz, Menschenwürde und Gewaltfreiheit. Denn die Erinnerung an das, was war, ist ein Schutzschild für die Grundwerte unseres Zusammenlebens heute und morgen.
