Blickrichtung

Von Pfarrerin Carmen Tomaszewski, Gefängnis- und Telefonseelsorgerin, Koblenz

Von Pfarrerin Carmen Tomaszewski
Gefängnis- und Telefonseelsorgerin, Koblenz

Hugo ist klein und rund und rot. Stundenlang liegt er irgendwo zusammengekuschelt und döst. Ich denke immer, er ist ganz harmlos. Doch wenn sein Jagdtrieb einsetzt, bringt er mir tatsächlich Mäuse und  leider sogar Vögel mit nach Hause. Ein Raubtier im Schlafpelz. Erstaunliches geschieht, wenn ich den Laserpointer auspacke. Das kleine rote Licht versetzt ihn in Hypnose. Er rennt und jagt springt hinter dem huschenden Licht her und – wenn ich nicht früh genug aufhöre – versucht er bis zur Erschöpfung, den flüchtigen Punkt zu erhaschen. Immer erfolglos. Und wird dabei immer hektischer. Manchmal bin ich wie Hugo. Lasse mich blenden von irgendeinem funkelnden Ding. Setze meine Kraft und Aufmerksamkeit ganz dort hin und verliere vieles andere aus dem Blick. Will etwas unbedingt. Und kriege gar nicht mit, dass ich mich selbst kaum noch spüre. Es gibt Psychologen, die sagen: Die Energie geht dahin, wohin ich die Aufmerksamkeit richte. Ich glaube, da ist was dran. Wenn ich schon morgens irgendwas bödes erlebe und mir das nicht aus dem Kopf geht, hat ein Tag es schwer, für mich noch ein guter zu werden. Dann sehe ich manchmal nichts anderes mehr.  Dann werde ich auch Hugo und habe nur noch Augen für das huschende Licht von noch mehr doofen Sachen. Der kommende Sonntag heißt in der evangelischen Kirche „Oculi“ – Augen, nach einem Vers aus Psalm 25,15: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn, denn der Herr wird meine Füße aus dem Netz ziehen.“ Mitten in der Passionszeit fragt mich der Tag, worauf ich meine Aufmerksamkeit im Leben richte. Wovon ich mich gefangen nehmen lasse. Und ob ich – anders als Hugo – auch entscheiden kann, etwas ganz anderes in den Blick zu nehmen, wenn mich der huschende rote Punkt mal wieder verführt.

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