Allein aus Gnade – und das heute!

Pfarrerin Ruth Stein

Von Pfarrerin Ruth Stein
Eichendorff-Gymnasium, Koblenz

Als ich am Kopierer stehe, kommt ein Kollege und möchte sich entschuldigen für etwas, was sicher keine böse Absicht, sondern höchstens ein Versehen war. „Ach, geschenkt! Das war doch kein Problem,“ winke ich ab. „So so: geschenkt,“ lächelt er, „als gute Protestantin vergibst du mir natürlich aus reiner Gnade!“ Aber jetzt wird er ernst: „Versteh mich richtig, es geht mir nicht um die Sache gestern. Aber ist das nicht sowas wie ´billige Gnade`? Wenn man jemandem verzeiht, ohne dass der sich überhaupt dafür entschuldigen kann oder zeigt, dass er sich damit auseinandergesetzt hat?“ Und plötzlich führe ich mitten am Morgen am Kopierer einen Diskurs über Luthers Gnadenverständnis, das Zentrum der reformatorischen Rechtfertigungslehre, wie Bonhoeffer die ´billige Gnade` von der ´teuren` unterschieden hat, - und warum ein dahingeworfenes ´geschenkt` eine Entschuldigung auch entwerten kann. Der Kollege erzählt, dass ihn das Lutherjahr angeregt hat, sich mit den Grundbegriffen der Reformation zu beschäftigen, und ich freue mich über einen neuen und anderen Zugang zu einem der zentralen Schlagworte der Reformation ´Allein aus Gnade`.

Das ist gut an historischen Jubiläen, dass wir uns in der Beschäftigung mit vergangenen Zeiten mit der eigenen Identität und unserer Gegenwart auseinandersetzen. Der diesjährige Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten steht unter der Überschrift ´Gott und die Welt. Religion macht Geschichte`. Dabei untersuchen junge Menschen einen selbstgewählten religiösen Zusammenhang auf seine historische Bedeutung hin. Bei dem Wettbewerb ist vorgegeben, dass das Thema einen regionalen oder familiär- biographischen Bezug aufweisen soll. Einen solchen Bezug zur Gegenwart herzustellen, kann auch als Appell am Ende einer historischen Untersuchung stehen. Ein Vortrag bei der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland, die gerade in Bad Neuenahr tagt, lautete ´Das Reformationsjahr im Rheinland: Erinnern, feiern – und dann?` und fragte am Schluss, was die Reformatoren heute vielleicht über uns und unser kirchliches Leben denken würden.

Es wäre ein interessantes Thema für den Geschichtswettbewerb zu untersuchen, was heute in den Gemeinden unter zentralen reformatorischen Aussagen verstanden wird, was ´allein aus Gnade` für Katholiken bedeutet, was Muslime zum Beispiel damit verbinden, wie Protestanten selber dazu stehen und vor allem wie sie es umsetzen. Laut Bonhoeffer ist es die ´teure Gnade`, die in die Nachfolge Jesu ruft. Ich denke, Luther wäre da zufrieden mit uns, wo Gemeinden Profil zeigen und wo wir uns wie Jesus denen zuwenden, die Hilfe und Zuwendung heute und in unserer Gesellschaft brauchen.

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