Über Menschen

Von Stefanie Martin Pfarrerin an der Julius-Wegeler-Schule in Koblenz

Von Stefanie Martin
Pfarrerin an der Julius-Wegeler-Schule in Koblenz

Vielleicht bin ich ja naiv. Und vielleicht ist es gefährlich, so zu denken. Aber trotzdem bin ich der Autorin Juli Zeh dankbar für ihr neues Buch „Über Menschen“. Es ist eine ungemein menschenfreundliche Geschichte, wenn nicht gar ein Beispiel dafür, wie Jesus sich das mit der Feindesliebe vorgestellt hat.

Die junge Werbetexterin Dora flieht aus dem Corona-Hotspot Berlin in die tiefste Provinz Brandenburgs, in das Dorf Bracken. Sie hat dort ein altes Haus gekauft. Gleich am ersten Tag lernt sie ihren neuen Nachbarn kennen.

Dieser Typ, Gote, abgeleitet von Gottfried, ist ein Nazi durch und durch. Das sagt er sogar selbst von sich. Er ist aggressiv, beschimpft und bedroht Ausländer, das schwule Gärtnerpaar, sogar Doras kleinen Hund. Er stinkt, säuft und grölt mit seinen Kumpeln Nazi-Lieder. Und, wie Dora später herausbekommt, er ist wegen versuchten Totschlags vorbestraft. Er hat beim „Linke-Klatschen“ einen Andersdenkenden mit einem Messer schwer verletzt. Der Gärtner fasst es treffend zusammen: „Gote ist ein Arsch“.

Und trotzdem lässt die Autorin Dora jeden Abend mit Gote an der Gartenmauer stehen und wortlos eine Zigarette rauchen. Jeder bleibt auf seiner Seite, durch die Mauer getrennt, aber durch eine Kiste und einen Stuhl begegnen sie einander auf Augenhöhe. Und irgendwann sieht man auch als Leser durch Gotes ganzes Nazi-Gehabe hindurch seine anderen Seiten. So wie der Kaiser im Märchen ohne Kleider dasteht, so sieht man Gote irgendwann ohne Bomberjacke und Springerstiefel. Ein Mensch. Kein Übermensch, aber auch kein Untermensch. Er verdient Respekt, einfach weil er ein Mensch ist.

Vielleicht ist es ja wirklich naiv, aber sich über andere Leute zu erheben, ist wirklich „die Mutter aller Probleme, ein Langzeitgift, das die ganze Menschheit von innen zerfrisst“. In Bracken funktioniert das nicht.

Ach, wäre Bracken doch überall!

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