Zwickmühlentango

Von Pfarrerin Carmen Tomaszewski Evangelische Seelsorge an der JVA Koblenz / Evangelische Pfarrerin in der TelefonSeelsorge Mittelrhein

Von Pfarrerin Carmen Tomaszewski
Evangelische Seelsorge an der JVA Koblenz / Evangelische Pfarrerin in der TelefonSeelsorge Mittelrhein

Manchmal in diesen Tagen wünsch ich mir nur, dass es aufhört. Die Pandemie, die Verbote, die Erschütterung meiner früheren Sicherheiten. Manche Leute erstarren in Angst vor dem Virus, andere glühen vor Wut wegen der Maßnahmen, meine eigene Lebendigkeit erstickt immer wieder wie eine Flamme ohne Sauerstoff. In der TelefonSeelsorge höre ich in Telefongesprächen die vielen Leute, deren Einsamkeit exponentiell wächst. Im Knast werden die wenigen Freiräume noch enger, und viele Menschen „draußen“ haben langsam ein Knastgefühl.

Ich höre und spüre all das und hab selbst nur noch Brei im Kopf. Mir scheint, es gibt derzeit kein klares „So ist es das einzig Richtige“, sondern jede Menge Zwickmühlen und Ambivalenzen. Das ist schwer auszuhalten.
Ich denke ja, dass diese Verunsicherung Menschen zurückwirft auf ihre ganz alten Lösungsversuche, um mit Hilflosigkeit umzugehen. Einer wird wütend, eine erstarrt in Angst und eine andere wehrt sich trotzig. Alles innerlich übermächtig, weil ursprünglich als kleines Kind so erlebt und jetzt aktiviert. Und weil es so schwer auszuhalten ist, sucht es sich einen Weg nach draußen. Irgendwer muss doch schuld sein an der Not. Sehr menschlich. Und lähmend.

Mir fällt Jesus ein: der taucht auf, predigt, praktiziert Menschenliebe und bewegt die Menschen. Viele jubeln im zu, rufen Hosianna, sehen ihn als neuen König. Das löst bei anderen Ängste aus. Die machtlosen Mächtigen im besetzten Jerusalem kriegen Sorge, dass die Stimmung explodiert. Jede Menge Ambivalenz. Und dann kurzer Prozess, Todesurteil für den „Schuldigen“, Hinrichtung ohne Möglichkeit der Revision… Jesus nimmt es hin. Mit seiner Angst, mit seiner Hilflosigkeit. Dann gibt es Grabesruhe… die Möglichkeiten der Menschen sind ausgeschöpft. Jesus wurde zum Opfer der Angst vor der Liebe. Ende aus.

Doch ich komme von Ostern her. Ich lege mein Vertrauen in eine alte Botschaft: Gottes Möglichkeiten sind größer. Die Hingabe Jesu an die Liebe, die das Leiden annimmt, ist kein Holzweg. Da wo nur der Tod sicher scheint, wird neue Lebendigkeit sichtbar. Die Grabesruhe ist nicht das Ende. Auferstehung nennen Christen das. Wir haben es nicht, wir können nur hoffen.

Ich will diese Hoffnung immer wieder ergreifen und damit durch die Zwickmühlen tanzen. Innerlich in Bewegung bleiben und in keinem der vielen Gefühle erstarren. Dem trauen, was der Liebe dient. Tanzen, vielleicht Zwickmühlen-Tango. Mit meiner „Leiden“schaft. Sie auch?

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